TD IHK Aktualisierung und Modernisierung der Zollunion EU-Türkei Geschäftsperspektiven aus Deutschland und der Türkei
Aktualisierung und Modernisierung der Zollunion EU-Türkei Geschäftsperspektiven aus Deutschland und der Türkei
Aktualisierung und Modernisierung der Zollunion EU-Türkei Geschäftsperspektiven aus Deutschland und der Türkei

Während im 1. Teil der Veranstaltung Perspektiven und Positionen zur Zollunion und ihrer Modernisierung erörtert wurden, diskutierten im 2. Teil Vertreter von Thinktanks und der Wirtschaft über Geschäftsperspektiven.

Die Begrüßung und Einführung in das Thema übernahm TD-IHK Präsident Rolf A. Königs : „Es steht außer Frage, dass die EU und die Türkei füreinander wichtige Partner sind. Besonders deutlich wird dies an den Wirtschaftszahlen: Die EU ist mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Türkei. In 2019 lag das Handelsvolumen bei 154 Milliarden Euro. Allein Deutschland hatte daran einen Anteil von über 35 Milliarden Euro. Umgekehrt lag die Türkei im Jahr 2019 auf Platz 6 der wichtigsten Handelspartner der EU. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell Lieferketten unterbrochen werden können und vor was für Schwierigkeiten und Herausforderungen wir gestellt werden, wenn wir beim Handel von einzelnen Ländern oder Wirtschaftsmächten abhängig sind. Die Türkei könnte ein noch bedeutenderer Akteur in der globalen Wertschöpfungskette werden. Lassen Sie uns diese Chance nutzen!  Dabei dürfen uns keine Hemmnisse in den Weg gestellt werden. Die Zollunion mit der Türkei, die übrigens zu den ersten Handelsabkommen der EU mit einem Drittland gehört, bezweckte die wirtschaftliche Integration der Türkei und den freien Warenverkehr zwischen den Parteien. Dies ist auch zunächst geglückt, denn das Handelsvolumen ist seitdem stetig gestiegen.“ leitete Königs seine Rede ein.

„In den letzten 25 Jahren hat sich in den Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union einiges getan. Der Jahrtausendbeginn war geprägt von mutigen Reformen der türkischen Regierung und einer Annäherung auf breiter Front, die in der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen 2005 gipfelte – mitten im türkischen Wirtschaftswunder, das durch die erfolgreiche Reformpolitik ausgelöst wurde. Auch in den Folgejahren gab es weiter graduelle Fortschritte. Wir müssen aber konstatieren, dass sich die EU-Türkei-Beziehungen nun schon seit Jahren in einer schwierigen Phase befinden. Zuletzt kulminierte das im Streit um die türkischen Explorationen und Bohrungen im Östlichen Mittelmeer. Es freut mich daher umso mehr, dass der Europäische Rat vergangene Woche gerade auch in schwierigem Umfeld die Tür für einen konstruktiven Dialog zwischen der EU und der Türkei offen gelassen und das Angebot einer Positivagenda bekräftigt hat. Denn die Türkei bleibt für uns ein strategisch wichtiger Partner, Wirtschaftspartner, EU-Beitrittskandidat und NATO-Alliierter, mit dem wir konstruktiv und pragmatisch zusammenarbeiten wollen. Angesichts der türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist das zudem auch eine Herzensangelegenheit.“ konstatierte Botschafterin Susanne Schütz, Beauftragte für Südosteuropa, die Türkei, EFTA-Staaten, OSZE und Europarat im Auswärtigen Amt.

Botschafter der Republik Türkei in Berlin Ali Kemal Aydın betonte, dass die Zollunion und die Handelsbeziehungen, von der Politik losgelöst weiter vertieft und ausgebaut werden müssen. „Das Aktualisierungsbemühungen rund um die Zollunion, die gegenseitige Nutzen und Integration in den Vordergrund stellen sollen, von politischen Verhandlungen begleitet werden, widerspricht den Rechtsgrundsätzen und dem Multilateralismus der Europäischen Union."

Stellvertretende Handelsminister der Republik Türkei, Gonca Yılmaz Batur, betonte, dass die 1996 in Kraft getretene Zollunion nicht nur der Liberalisierung des Handels diente, sondern auch bei der Integration der Türkei in die  EU eine wichtige Rolle spielte. "Heute, dank der Zollunion, sind EU und die Türkei unverzichtbare Handelspartner.  Das Handelsvolumen zwischen der EU und der Türkei belief sich 1995 auf rund 30,3 Milliarden Dollar und erreichte 2019 144,7 Milliarden US-Dollar. Unser Handelsvolumen mit Deutschland stieg dagegen von rund 10,8 Milliarden Dollar im Jahr 1995 auf 35,9 Milliarden Dollar im Jahr 2019." Die Zollunion habe auch vielen in der Türkei ansässigen Unternehmen mit Hauptsitz in der EU erhebliche Vorteile gebracht. Vor allem deutsche Unternehmen haben auch profitieren können.  Sie erklärte jedoch, dass die Zollunion trotz aller Vorteile nicht mehr ausreiche, um die Erwartungen der Parteien zu erfüllen. Zu viele Asymmetrien seien entstanden. Batur hob insbesondere die Motivation der Türkei bei der Aktualisierung der Zollunion hervor, die für sie mittlerweile viele Schwierigkeiten mit sich bringt, und erklärte, dass diesbezügliche Fortschritte dringend Unterstützung beider Seiten benötigen.

Stellv. Außenminister der Republik Türkei Faruk Kaymakcı leitete seine Rede mit einem Dank an die Bundesrepublik Deutschland als Befürworterin einer Positivagenda während der Ratspräsidentschaft ein. Er drückte seine Hoffnung darüber aus, dass die bevorstehenden 3 Monate nicht nur von der Türkei, sondern auch von Griechenland, Zypern und Frankreich gut genutzt werden. Kaymakcı wies darauf hin, dass die Zypernfrage im Zentrum des Prozesses der Zollunion und der EU stehe und machte auf die Notwendigkeit aufmerksam, aus Teufelskreisen auszutreten und für eine positive Agenda einzustehen. Asymmetrien seien aufgrund des Beitrittsprozesses hingenommen worden, an Entscheidungsmechanismen sei die Türkei jedoch nicht beteiligt worden und es seien Schwierigkeiten bei Transportfragen und Freihandelsabkommen aufgetreten.

Dass die 25-jährige Zollunion zwischen der EU und der Türkei dringend aktualisiert werden müsse, äußerte Günter Verheugen, ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Kommission und Keynote-Sprecher der Veranstaltung. " Die Türkei hat in den letzten 20 Jahren einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Sie hat sich vom Niedriglohnland zu einer der stärksten Volkswirtschaften der Welt entwickelt. Sie hat sich bedeutende neue Märkte erschlossen und diese damit auch für Unternehmen aus der EU leichter zugänglich gemacht. Die Türkei von heute ist kein bloßer Zulieferer mehr, sondern produziert zunehmend das sogenannte technologische high end der Wertschöpfungskette. Hohe Produktivität, Qualität und Liefertreue sind heute Markenzeichen der türkischen Industrie. Auch im Dienstleistungsbereich ist die Türkei in den letzten Jahren zu einem starken internationalen Wettbewerber geworden. Ich sehe also keinen Grund,  türkischen Unternehmen den Weg in den EU-Dienstleistungsmarkt zu erschweren. Allerdings wird eine Öffnung des Dienstleistungsmarktes im Rahmen der Zollunion neuen Anpassungsdruck bedeuten, da sich der Wettbewerb verschärft und Strukturwandel beschleunigt wird.“

Im anschließenden Panel und 2. Teil der Veranstaltung, welches von Prof. Dr. Güven SAK, Geschäftsführer TEPAV, Stiftung für wirtschaftspolitische Forschung der Türkei moderiert wurde, diskutierten Vertreter aus Wirtschaft und Thinktanks zum Thema Zollunion, darunter Dr. Çiğdem NAS, Geschäftsführerin der Stiftung für wirtschaftliche Entwicklung der Türkei, Dr. Christian BLUTH, Senior Expert Handel und Globalisierung Bertelsmann Stiftung, Cesur SÜNNETCİOĞLU, Chairman Aunde Teknik A.Ş. und Cristina Mandru als Vertreterin von Beko/Grundig Deutschland GmbH. Diskutiert wurde vor allem Bedeutung und realistische Einschätzung der Aktualisierung der Zollunion auf der Agenda der EU und der Türkei;  mögliche Alternativen für eine positive Agenda und ein grüner Transformationsprozess der Türkei im Einklang mit dem Green Deal der EU. Außerdem ging es um den Einfluss und die Auswirkungen der Pandemie auf Lieferketten und die Bedeutung und Rolle der Digitalisierung.

Die Abschlussrede übernahm TOBB-Präsident Rifat Hisarcıklıoğlu und dankte der TD-IHK für diese Veranstaltung und ihre Rolle als Brücke und Mittler für die bilateralen Beziehungen.  Er deutete darauf hin, dass die EU für die Türkei wichtigste Quelle für ausländische ist. Sowohl für inländische als auch für in der EU ansässige Unternehmen, genieße die Modernisierung der Zollunion höchste Priorität. Hisarcıklıoğlu erklärte, dass Visaverfahren und Transportkontingente große Hindernisse für türkische Unternehmen darstellen: „Es liegt im Interesse aller Beteiligten, dass Landwirtschaft, Dienstleistungen und öffentliche Vergaben in den Geltungsbereich der Zollunion integriert werden. Die Aufhebung bestehender Probleme schafft Chancen und Nutzen für beide Seiten. Wir sind uns der Probleme bewusst, die ausländische Unternehmen, vor allem auch deutsche Unternehmen, durch die Funktionsweise der Zollunion in der Türkei haben. Ein Großteil davon kann durch die Aktualisierung der Zollunion beseitigt werden. Lassen wir diese potenzielle Chance, von der beide Seiten profitieren, nicht entgehen. Als Geschäftsleute wollen wir durch die Steigerung des Einkommens mehr zum Wohl unserer Menschen beitragen. Eine Aktualisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei wird erheblich dazu beitragen. Dies wird die Türkei näher an die EU heranführen. Ich glaube, dass die Unterstützung Deutschlands und der deutschen Geschäftswelt in diesem Prozess ebenfalls sehr wichtig ist." schloss er seine Rede ab.



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